Der Umgang mit einem Angsthund


 

Der Begriff "Angsthund" wirkt, durch die mittlerweile etwas wahllose Nutzung, hin und wieder irreführend.

Gemeint sind zwar weithin Hunde, die besonders ängstlich wirken, in der Ursache jedoch eher scheu, bindungslos oder besonders vorsichtig sind.

Gründe gibt es hierfür viele. Die Masse der Angsthunde, mit denen wir es zu tun bekommen, stammen aus dem Auslandstierschutz, sind ehemalige Straßenhunde oder im Tierheim großgeworden.

Diese Hunde haben in der Regel zu keinem Zeitpunkt Bindung an Menschen erfahren und waren die meiste oder gesamte Zeit ihres Lebens gänzlich auf sich allein gestellt.

 

Hunde aus dem Auslandstierschutz - "ehemalige" Straßenhunde und Hunde, die nur das Leben im Tierheim kennen


Für sie kommt hinzu, dass sie, nach Verbringung in ein fremdes Land, erst einmal viele neue, für sie negative, Situationen erleben.

Der vielleicht wichtigste Punkt, den man sich an dieser Stelle verdeutlichen sollte, ist der, dass der "gerette" Hund absolut keine Ahnung davon hat, dass die Menschen es gut mit ihm meinen.

Aus seiner Sicht wurde er aus seinem Rudel gerissen, oft gesichert unter Anwendung von Fangstangen, Fallen oder Ähnlichem. Was folgt, ist ein langer, anstrengender und furchteinflössender, Transport in einem LKW oder Flugzeug. Ohne ausreichend Bewegung, gemeinsam mit weiteren Hunden, die puren Stress empfinden und diesen auch ausstrahlen.

Bei seiner Ankunft ist dann alles fremd. Er kennt weder die Leute, die ihn ansprechen und berühren, kennt nicht die Gerüche und Geräusche, die auf ihn einstürmen, ist orientierungslos. Er traut niemandem.

Im Empfinden des Hundes kommt seine "Rettung" einer Verschleppung gleich. Was würden Sie tun, wenn Sie verschleppt würden?

Der einzige Gedanke, der den Hund vorerst umtreibt, ist Flucht. Er wird die erste Gelegenheit nutzen, jede Gelegenheit. Und er wird kreativ sein und Möglichkeiten entdecken, die Ihnen gar nicht in den Sinn kommen, wenn Sie sich zuvor nicht eingehend verdeutlichen, mit welcher Art Hund Sie es zu tun haben und welches Ausmaß Fluchttendenzen annehmen können.

 

Doch auch Hunde, die keine, durch Eigenverantwortung und Vorsicht geprägte, Vorgeschichte mitbringen, können hohe Fluchttendenzen entwickelt haben oder schlicht bindungslos sein.

Der Folgetrieb von Welpen beispielsweise ist ein Märchen. Weshalb sollte ein Welpe Ihnen folgen? Sie sind ihm völlig fremd und er gerade aus seinem gewohnten Umfeld gerissen worden.

 

Grundsätzliches

 


Das Sicherheitsgeschirr

Jeder Hund kann sich aus absolut jedem handelsüblichen Halsband oder Geschirr befreien. Die einzige Ausnahme bieten Sicherheitsgeschirre.

Ein Sicherheitsgeschirr weist sich dadurch aus, dass es über drei, anstelle der handelsüblichen zwei, Gurte verfügt. Der dritte, zusätzliche, Gurt des Sicherheitsgeschirrs verläuft hinter dem Brustkorb auf der Taille des Hundes. Da die Taille schmaler ist, als der Brustkorb, kann der Hund das Geschirr so nicht nach vorn über den Kopf abstreifen.

Der richtige Sitz ist maßgeblich für die Funktionalität des Sicherheitsgeschirrs, weshalb der Hund vor Bestellung des Geschirrs genau ausgemessen werden muss.

Empfehlenswert ist außerdem das Geschirr in einer möglichst grellen Farbe zu bestellen und die eigene Telefonnummer darauf sticken zu lassen.

Schreibt man die Telefonnummer mit einem Stift, welcher Art auch immer, darauf, findet über kurz oder lang ein Abrieb statt oder die Farbe wird durch Wettereinflüsse, schwimmen und ähnliches abgewaschen, die Telefonnummer somit unkenntlich.

Die grelle Farbe mag gewöhnungsbedürftig sein, bietet aber zwei massive Vorteile, sollte der Hund entlaufen: Zum Einen ist ein leuchtendbuntes Geschirr auch in ungünstigen Gebieten, wie Wald, weiten Feldbereichen und ähnlichem, wunderbar zu sehen. Zum Anderen fällt ein Hund mit leuchtendbuntem Geschirr generell sehr viel stärker auf und Sichtungen können besser zugeordnet werden.

 

Die Doppelsicherung

Das Sicherheitsgeschirr ist zwar absolut ausbruchsicher, darf bei einem Hund mit hohen Fluchttendenzen aber keinesfalls die einzige Sicherung sein.

Stellen Sie sich einmal vor, sie führen ihren Hund aus und er macht, weshalb auch immer, einen Satz nach vorn, nach hinten, zur Seite - eben weg von Ihnen. Vielleicht gab es einen Schreckmoment, weil ein Radfahrer zu dicht vorbeifuhr, vielleicht ist ein anderer Hund auf ihn zugestürmt, vielleicht hat ein Vogel seinen Jagdtrieb geweckt, vielleicht.. die Möglichkeiten sind unzählig.

Doch was auch immer der Auslöser für seine plötzliche Bewegung war - die Wahrscheinlichkeit, dass Ihnen die Leine, durch den plötzlichen, überraschenden Zug, aus der Hand gerutscht ist, ist hoch.

Es gibt jedoch simple Möglichkeiten derlei Situationen zu verhindern.

Wenn Sie mit dem Hund rausgehen, sollten Sie ihm, zusätzlich zum Sicherheitsgeschirr, ein Halsband anlegen und sowohl am Geschirr, als auch am Halsband, je eine Leine anbringen.

Die Leine, die Sie in das Geschirr eingehakt haben, befestigen Sie am Körper, die Leine, die am Halsband angebracht ist, halten Sie zum Führen in der Hand.

Macht er nun eine plötzliche Bewegung, kann es zwar weiterhin passieren, dass er Ihnen die Leine, die sie in der Hand halten, wegzieht - die an Körper und Sicherheitsgeschirr befestigte Leine jedoch sichert ihn weiterhin an Sie und sie haben massig Reaktionszeit, um die andere Leine wieder aufzunehmen.

Weshalb soll die am Körper befestigte Leine am Sicherheitsgeschirr angebracht werden, statt am Halsband?

Erneut das Szenario, in dem der Hund plötzlich einen Satz von Ihnen weg macht, die Leine aus der Hand rutscht.

Welche Leine haben sie nun am Körper befestigt? Richtig, die am Halsband angebrachte. Und wie kompliziert ist es für einen Hund sich aus einem Halsband zu ziehen? Genau, gar nicht. Glückwunsch also zur Doppelsicherung, der Hund wär trotzdem weg.

Weshalb reicht eine Leinensicherung zwischen Körper und Sicherheitsgeschirr nicht aus? Weil der Teufel im Detail steckt. Karabiner können sich lösen, das Material reißen, sie könnten stürzen, was auch immer. Es gibt eine Menge mögliche Szenarien, die alltäglich sind. Das Zwei-Leinen-Prinzip dient dazu, Eventualitäten vorzubeugen und in jeder Situation, dank der zweiten Leinensicherung, Reaktionszeit zu gewinnen.

 

Leinen mit Drehkarabinern

Eine weitere Situation, die wir tatsächlich bereits erlebt haben:

Der Hund ist mit Sicherheitsgeschirr, Halsband und zwei Leinen gesichert, als er sich im hohen Grad wälzt. Während des Wälzens öffnet sich der Karabiner der Leine, die am Sicherheitsgeschirr befestigt ist und löst sich. Bemerkt wird dies erst, als der Hund wieder hochkommt. Auch vom Hund. Dieser mach einen Ruck rückwärts, streift das Halsband über den Kopf nach vorn ab - und ist weg.

So unwahrscheinlich diese Situation für uns alle war, hat sie doch stattgefunden - und steht  nur exemplarisch für viele Situationen, die wir bereits erlebt und mit denen wir zuvor nie gerechnet hätten.

Wir nehmen derlei Erlebnisse jedoch zum Anlass dazuzulernen und machen uns Gedanken darüber, wie wir derlei Fehler künftig vermeiden können.

Die Lösung: Karabiner, die zugedreht werden müssen, um einzurasten. Es gibt Leinen, die mit solchen Karabinern ausgestattet sind, vielerorts fertig zu kaufen.

 

Flexileinen sind Mist - in jeglicher Hinsicht

Schon für einen Hund, der keine Ängstlichkeit zeigt und keine besondere Vorgeschichte mitbringt, sind Flexileinen, unserer Ansicht nach, nicht empfehlenswert.

Zum Einen führt die Nutzung einer Flexileine oft dazu, dass ein Hund fern von jeder Leinenführigkeit ist. Wie sollte er auch? Die Flexi lehrt ihn, dass Ziehen an der Leine zu Vorwärtskommen und Durchsetzen des eigenen Willens führt. Die Kontrolle des Halters beschränkt sich auf ein absolutes Minimum. Kommt dann eine Situation hinzu, die es erfordern würde, dass der Halter schnellstmöglich in den direkten Kontakt zum Hund treten oder ihn zu sich heranholen muss, hat man mit der Flexi keine Chance.

Eine solche Situation könnte ein heranstürmender fremder Hund, ein Betreten der Straße durch den eigenen Hund oder ähnliches sein. Ist die Flexi bereits deutlich ausgefahren, kommt man so schnell nicht an seinen Hund heran - ein in-die-Leine greifen kann zu Verbrennungen und Schnittverletzungen führen.

Hat man es mit einem ängstlichen Hund zu tun, dem man die Möglichkeit bietet, sich selbstbestimmt vom Besitzer zu etfernen, erschwert man sich und dem Hund schon einmal, dass dieser lernt, ein Sicherheitsgefühl im Beisein seines Besitzers zu etwickeln.

Rutscht eine Flexi dann, beispielweise in einer Paniksituation, aus der Hand, wird der Hund, der ohnehin flüchtet, rennt und einen Moment der Orientierungslosigkeit erlebt, zudem die Flexi, laut knallend, bei jedem neuerlichen Aufprall auf den Untergrund, hinter sich her ziehen - die gerade erlebte Paniksituation wird so verstärkt und dauert an, solange der Hund läuft. Und das Knallen wird ihn weiter zur Flucht antreiben.

 

Sicherung innerhalb der Wohnung

Punkt eins: Auch in der Wohnung darf ein Hund mit Fluchttendenzen nicht "nackt" sein. Das Minimum ist hier ein Halsband mit Halterkennzeichnung. Empfehlenswert für extrem ängstliche Hunde ist jedoch auch innerhalb der Wohnung ein Sicherheitsgeschirr, an dem eine Leine befestigt ist, damit man, wenn der Hund eine Fluchtgelegenheit erkennt, nach ihm, bzw. der Verlängerung durch die Leine, greifen kann.

Punkt zwei: Wenn Sie eine Außentür öffnen (z.B. nachdem es an der Tür geklingelt hat, weil sie kurz den Müll herausbringen, was auch immer), sollten sie zuvor eine Zwischentür schliessen, damit der Hund keine Möglichkeit hat zur geöffneten Aussentür zu gelangen. Ein Hund mit hohen Fluchttendenzen wird den geringsten Türspalt nutzen, um sich rauszudrücken.

Punkt drei: Türen, die nach außen führen, sollten immer nicht nur ge-, sondern verschlossen sein. Unabhängig davon, dass viele Hunde in der Lage sind Türen zu öffnen (sowohl nach außen, als auch nach innen), wird man so ständig daran erinnert an die Vorsichtsmaßnahmen von Punkt zwei zu denken.


Sicherung im Garten

Ein Hund mit Fluchttendenzen hat zu keinem Zeitpunkt ungesichert im Garten zu sein.

worüber sich viele nicht im Klaren sind: Auch kleine Hunde können einen Zaun von Zwei Meter Höhe mit Leichtigkeit überwinden. Abgesehen von ihrer enormen Sprungkraft, kraxeln und klettern sie - ein Hund der hinaus will, findet Wege über den Zaun, darunter durch, Lücken darin und ist hoch aufmerksam, sobald sich jemand dem Gartentor nähert.

Ein hoher Zaun macht einen Garten also nicht ausbruchsicher, weshalb ein Angsthund auch im Garten ein Sicherheitsgeschirr mit Halterkennzeichnung und eine Leine tragen sollte. Empfehlenswert sind an dieser Stelle Schleppleinen, die man einfach schleifen lassen kann. Selbstverständlich immer unter Aufsicht. Bietet sich dem Hund eine Gelegenheit zur Flucht, hat der Besitzer so die Möglichkeit auf die Leine zu treten, um dies zu verhindern. Auch hier ist wichtig, dass der Hund ein Sicherheitsgeschirr trägt. Aus allem anderen könnte er sich nämlich auch in dieser Situation einfach herausziehen, sobald durch den Tritt auf die Leine etwas Spannung entstanden ist.







Das Ausbruchsichere Geschirr

Der Bewegungsablauf des Hundes darf keinesfalls durch ungünstige Anpassung der Gurte (egal wo) beeinträchtigt sein.

Es ist bei den Sicherheitsgeschirren für die sogenannten Angsthunde und Panikhunde – fast noch wichtiger als bei allen anderen Geschirren – dass der Bewegungsablauf des Hundes keinesfalls durch ungünstige Anpassung der Gurte (egal wo) beeinträchtigt ist, insbesondere für die meistens fälschlicherweise so bezeichneten Angsthunde und/oder Panikhunde (die oftmals umwelt- und/oder menschenungewohnt sind, also Hunde, die innerhalb ihrer Prägungsphase keinerlei oder kaum Umwelt- und Menscheneinflüsse erleben durften/konnten).
Denn gerade bei ihnen wird jede Einengung, jede Begrenzung durch ein „in sich zurückziehen“ und „sich noch unbehaglicher fühlen“ und „noch weniger bewegen wollen“ oder auch konstantes "Flüchten - aus dem unbequemen Teil (sieht dann so aus, als wolle der Hund nur schnell durch die Gegend rennen wollen, sodass man als Mensch kaum das Tempo des Hundes mithalten kann (alle anderen Gründe die so ein Fluchtdauerverhalten auslösen/verstärken können, sollen jetzt und heute nicht diskutiert werden)" quittiert werden.
Es ist in meinen Augen von außerordentlicher Wichtigkeit für die weitere Entwicklung des o.g. Hundeklientels, dass sämtliches Zubehör so angenehm wie möglich und zeitgleich so sicher wie nötig, ist.

Es ist beim Anlegen des Geschirres bitte darauf zu achten, dass keiner der Gurtbänder zu eng sitzt und/oder Bewegungen des Hundes beeinträchtigt, z.B. Hals-/Kopfbewegungen, Auf- und Abwölbung der Wirbelsäule, Streckungen des Rumpfes u.v.m. im Schritt, Trab und Galopp.
Siehe hierzu auch die nachfolgenden Bilder, die als Animation zusammen gestellt wurden. http://www.m-arki.de/abbildungen/schritt_animation.gif

Sollte der Hund seine natürlichen Bewegungen nicht durchführen können (z.B. durch Gurtbänder die zu eng sitzen, durch Gurtbänder, die ein Strecken, Auf- und Abwölben nicht ermöglichen usw.) so kommt es unweigerlich zu einer Fehlbelastung der gesamten Muskulatur welche dann zu muskulären Verspannungen führt und in der Folge durch die verkehrte Gelenkbelastung (fortwährende Beeinträchtigungen im Bewegungsablauf) zu irreparablen Gelenkschäden führen kann.
Zum genauen Bewegungsablauf beim Hund liegen umfangreiche wissenschaftliche Studien vor.

 

Text Maria Bader / Find mich Fix